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IRONTON

Interview mit Mario Reis, 10.10.2004 Geführt von Stefanie Lucci

S: Mario, du hast in Ironton, einer amerikanischen Geisterstadt im Südwesten von Colorado, ein Kunstprojekt verwirklicht. Betritt man die verfallenen Häuser dieser Geisterstadt, sieht man sich mit leeren Keilrahmen konfrontiert, die du an den Wänden befestigt hast. In 4 Häusern hast du solche Installationen gemacht, so dass man bei einem Streifzug durch Ironton immer wieder auf diese leeren Rahmen trifft. Bevor ich nun näher auf dieses Kunstprojekt eingehe, möchte ich zunächst einmal mit dir über Ironton, den Ort selbst, reden. Ironton liegt zwischen Ouray im Norden und Silverton im Süden, die größeren Ortschaften sind im Norden Montrose und im Süden Durango. Die ganze Gegend ist vor allem durch die zahlreichen Goldminen bekannt. Ironton liegt buchstäblich in dieser Minenlandschaft, die besonders durch die vielen gelben Abraumhalden auffällt. Auch ist diese Gegend eine der höchsten Gebiete in den US Rocky Mountains und eine der schönsten und wildesten dazu. Du kennst nun diesen Ort schon sehr lange. Wie bist du denn überhaupt auf diesen Ort aufmerksam geworden?

M: 1991 hatte ich das Nordamerikaprojekt gestartet. Wie du weißt, arbeite ich an einem weltweiten Projekt, bei dem ich Naturaquarelle anfertige. Ich nehme unbehandelte Leinwände und installiere diese in fließende Gewässer. Durch die natürlich gelösten Pigmente und Sedimente, die der Fluss mit sich führt, entstehen bei dieser Interaktion eigendynamische Selbstportraits der Flüsse. Ich bin damals zuerst durch alle Staaten von Mexiko gereist und habe dann 1992 mit den USA angefangen. Auf dieser ersten Reise bin ich auch durch Colorado gekommen und hatte dort diesen Ort entdeckt. Zuerst hatte ich allerdings den Red Mountain Creek entdeckt.

S: Und das war auch erst der ausschlaggebene Grund, warum du dich dort in die Büsche geschlagen und dann auch diese Geisterstadt, Ironton, entdeckt hast.

M: Das war natürlich der Hauptgrund. Denn es ging um diesen Fluss, der Eisenoxyd mit sich führt. Dadurch entstehen nämlich orange Bilder.

S: Der fließt dort auch ganz orange durch die Landschaft?

M: Ja. Man kann das auch sehr gut erkennen, weil die Steine an der Uferböschung auch orange eingefärbt sind. Als ich dort gearbeitet hatte, habe ich natürlich auch Erkundungsstreifzüge gemacht und bin dann zufällig auf diese Geisterstadt gestoßen.

S: Ironton ist eine Geisterstadt, wie man z.B. auch auf den Fotos sehen kann, die sehr verfallen ist. Einige wenige Häuser sind von außen in recht gutem Zustand, andere sind total zerfallen. Wie man neuerdings auf Tafeln erfahren kann, wurde diese Stadt erst in den 50er Jahren vollständig verlassen.

M: Ich glaube um 1950 ist der Letzte, der da gelebt hat, gestorben. Ich für meinen Teil, fand die ganze Situation dort unheimlich aufregend, mit diesem riesengroßen roten Berg vor einem, vor dem ich gearbeitet habe. Und dann auf der anderen Seite diese kleine, heimelige Ansammlung von Häusern, die aber eine sehr schöne Ausstrahlung hat und auch eine sehr große Ruhe. Und zur damaligen Zeit war diese Ecke noch nicht so populär. Vielleicht hat man alle paar Tage einen Jeepfahrer vorbei fahren sehen, aber ansonsten war da gar nichts.

S: Du hast dann 12-13 Jahre lang jedes Jahr in unmittelbarer Nachbarschaft dieser Geisterstadt gecampt und vor Ort deine Naturaquarelle angefertigt.

M: Ich bin immer wieder dort hin gefahren, weil ich den Red Mountain Creek und den Gray Copper Creek wegen ihrer Farben so interessant finde. Und ich habe natürlich jedes Mal eine Stippvisite zu dieser Geisterstadt gemacht. Für mich ist das der schönste Ort auf dem ganzen Nordamerikaprojekt. Weil ich da auch immer wirklich ein tolles Gefühl hatte, wenn ich durch diesen Ort gestiefelt bin. Obwohl da wirklich nichts ist, ist da trotzdem irgendwas Verbundenes. Und das hat sich über die Jahre hinweg natürlich immer weiter verstärkt. Einmal bin ich sogar mit dem Transporter dort hin gefahren, - die Pisten waren damals in sehr schlechtem Zustand und es ging dann auch nur sehr mühevoll - und ich habe sogar dort geschlafen. Ich wollte einfach mal eine Nacht dort verbringen. Irgendwie hat mich dieser Ort nie los gelassen. Ich hatte immer die Idee, mit dem Ort etwas zu tun und als es dann 2003 war, war abzusehen, dass das Nordamerikaprojekt allmählich in den Endzügen ist. Ich hatte alle Staaten von Mexiko, den USA und alle Provinzen und Territorien von Kanada bearbeitet. Die letzten Jahre hatte ich mich auf den Westen der USA konzentriert. Und ich bin immer wieder zu diesem Ort zurückgegangen. Dort habe ich Blöcke bis zu 40 Naturaquarellen angefertigt. Aber irgendwie war klar, dass das Projekt 2003 abgeschlossen ist. Und als ich mir meine Keilrahmen anschaute, kam mir die Idee zu diesem Ort, zu Ironton. Diese Keilrahmen waren ja alle sehr stark benutzt. Über die Jahre hinweg haben sie eine andere Patina bekommen.

S: Diese Keilrahmen haben dich ja rund 14 Jahre begleitet. Sie haben in unzähligen Flüssen des Kontinents gehangen, ob in den Gletscherflüssen Kanadas oder Alaskas, in den großen Strömen der USA oder in den Flussläufen Mexikos. Könnten sie reden, hätten sie bestimmt viel zu berichten. Sie sind ja, metaphorisch ausgedrückt, durchtränkt von den jeweiligen Orten und Landschaften, haben regelrecht Geschichte und Geschichten in sich aufgenommen.

M: Ja, da sind viele Gebrauchsspuren drauf, sie sind vom Wasser ausgelaugt, haben unterschiedliche Färbungen und in der Tat, sie tragen alle Geschichten in sich. Auch die meine und die des Nordamerikaprojektes. Und auch diese Geisterstadt hat so viel Geschichte in sich. Ich fand die Situation so spannend. Man versucht sich immer vorzustellen, wie es denn damals wirklich war, und ich habe immer davon geträumt, einmal 50 oder 100 Jahre zurückschauen zu können. In Ironton gibt es noch intakte Häuser, d.h. intakt ist gut, es sind natürlich keine Fenster und Türen drin, aber man wird wohl nicht nass, wenn es regnet. Jedes Haus hat eine ganz andere Ausstrahlung, auch wenn man sich in dem Haus befindet. Da muss unheimlich viel passiert sein. Es sind ja viele Minen dort. Das war ein riesen Goldrausch damals. Und ich kann mir schon vorstellen, dass auch unheimlich viele Leute in Zelten gelebt haben. Vielleicht hat der Minenbesitzer selbst in Ironton gewohnt, ich weiß es aber nicht. Aber man träumt immer davon, dass irgendwas passiert ist. Ich habe ja auch zuerst geglaubt, dass das eine große Haus eine Kneipe und Bordell gewesen ist. Natürlich war das keine Kneipe, sondern ein ganz reguläres Wohnhaus. Das hat man später auch aufgrund des Baustils gesehen. Aber man versucht, das einfach mit Leben und mit Bildern zu füllen, und dann kam mir die Idee, dass ich diesen Vorgang mit einer Installation von leeren Keilrahmen noch stärker verdeutlichen kann. Rahmen heißt ja direkt Bild. Und Bild heißt Vorstellung. Wahrscheinlich hat ja jeder, der da hinkommt, irgendwelche Vorstellungen von dieser Stadt. Und da habe ich mir gedacht, wenn ich hier Installationen von leeren Keilrahmen mache, sozusagen als Projektionsfolien für die eigenen Vorstellungen, wird die Phantasie noch stärker angeregt. Man wird sich dieses Vorganges auch mehr bewusst, denn eigentlich sind die Keilrahmen ja ungewöhnlich in dieser Umgebung. Als der Plan fertig war, habe mir die Häuser angeschaut und vier ausgewählt, wobei ich darauf geachtet hatte, in wie vielen Räumen man eigentlich ein normales Bild aufhängen könnte. Wichtig war auch, dass die Installationen spannend aussehen und den Räumen eine besondere Atmosphäre geben. Die Räume sollten als Spannungsgefüge erfahrbar sein. Die Arbeit ist so aufgebaut, dass man sie tatsächlich als Installation lesen kann, denn man merkt schon, dass sich jemand bewusst Punkte und Räume für die Rahmen ausgewählt hat. Und auf der anderen Seite entsteht in diesen teilweise verfallenen Häusern auch wieder ein Leben. Man hat sofort das Gefühl, dass es wohnlich ist. Man fühlt sich auch wohl darin. Wenn man auf diese Keilrahmen schaut, denkt man sofort: Ach ne, es ist eigentlich kein verlassenes Haus, es ist nicht tot...

S: Wenn man die Häuser betritt, fallen die Rahmen zunächst gar nicht so auf, weil sie mit dem Hintergrund, den Wänden, fast verschmelzen.

M: Das war auch beabsichtigt. Ich hatte zwar noch neue Keilrahmen im Auto, aber ich fand eben die abgenutzten Keilrahmen so schön, weil die nicht zu stark in den Vordergrund treten. Irgendwie sind sie integriert. Sie vermitteln einem das Gefühl, dass die Leinwände zwar weg sind, die Keilrahmen aber dort schon 100 Jahre hängen. Sie sind eben mit diesen Häusern gealtert. So wie in diesen Häusern nichts mehr ist, sind die Leinwände eben auch verschwunden.

S: So wie das auch mit der Erinnerung ist? Dass Erinnerung verblasst oder sich wieder einstellt, so wie auch die Rahmen wieder gefüllt werden können? Ganz frei vom Betrachter, von jedem der nach Ironton kommt und seine eigenen Geschichten mitbringt?

M: Genau darum geht es. Diesen Ort und diese Umgebung mit seinen eigenen Phantasien zu füllen und nicht mit vorgegebenen Gebrauchsmustern.

S: Was ich sehr interessant finde: Diese Installation ist 2003 gemacht worden und es war gar nicht klar, ob die Installation überhaupt noch 2004 da ist. Jemand hätte sie ja abnehmen können

M: Damit hatte ich auch eigentlich gerechnet. Aber die waren noch da und das Interessante ist, dass in einem Haus, in dem eine Installation ist, eine Veränderung statt gefunden hat. Es standen nämlich auch noch 2 Türen an der Wand. Diese Türen wurden aus dem Raum herausgenommen und jetzt ist dieser Raum genauso klar wie die anderen. Nur noch die Wände, das Fenster und ein leerer Raum. Vorher war es wie eine Abstellkammer, wo eben noch 2 Türen standen. Man hat also nicht die Rahmen abgemacht, sondern man hat die Türen verstellt und so kommt die Installation noch stärker raus. Ich nehme an, dass man das vielleicht sogar bewusst gemacht hat, irgendjemand.

S: Du sagtest vorhin, dass Ironton irgendwie zu dir gehört.

M: Ich habe den Ort eigentlich adaptiert oder adoptiert, wie soll man das sagen?

S: Und durch deine Installation auch markiert.

M: Ja. Als ich die Installation machte, wollte ich auch die Leute irritieren und dadurch sensibilisieren, die an diesen Ort kommen und die da eigentlich nichts erwarten. Man betritt so ein Haus und man schaut plötzlich auf diese Rahmen. Vielleicht wird man dann ein bisschen wach gerüttelt. Und man fragt sich: Oh, warum sind da diese Rahmen? Und man setzt sich auf einmal mehr mit diesem Ort auseinander. Darum ging es mir natürlich auch.

S: Um den Ort als solchen, damit der dadurch präsenter wird.

M: Genau. Und man sieht natürlich, dass jede Installation in jedem Haus anders aufgebaut ist. Dass jedes Haus seine eigene individuelle Installation bekommen hat.

S: Und wie ich dich kenne, würdest du bestimmt gerne in ein paar Jahren noch einmal nach Ironton fahren und schauen, ob das da noch alles hängt?

M: Ja natürlich, klar. Die Neugierde ist bei mir natürlich auch da, ob die Installation tatsächlich noch in ein paar Jahren noch da ist. Am liebsten würde ich die ganze Gegend markieren, über die Bergrücken hinweg bis nach Silverton. Dort gibt es noch mehrere Geisterstädte. Stell dir das mal vor: Überall Installationen von Bildern ohne Bilder, die im Kopf des Betrachters wieder Bilder auslösen....